Dritter Vortrag der öffentlichen Vortragsreihe „Das Kernbergviertel – Wurzeln und Wachstum“ der Bürgerinitiative „ProKernberge“

Johannes Trüper (1855-1921) und die Trüperschen Anstalten – Ein bedeutender Wegbereiter der Heilpädagogik aus dem Kernbergviertel

Am 19. April 2016 lud die Bürgerinitiative „ProKernberge“ zum dritten Vortrag ihrer öffentlichen Vortragsreihe „Das Kernbergviertel – Wurzeln und Wachstum“ ein. Galten die beiden ersten Vorträge im vergangenen Jahr den geologischen Grundlagen und der Geschichte der Kernberge im Mittelalter, so ging es diesmal um eine der markantesten Persönlichkeiten und um eine der zeitweise bekanntesten Institutionen unseres Viertels: Johannes Trüper und die von ihm gegründeten Trüperschen Anstalten. Mit Frau Dr. Alexandra Schotte (Jena/Augsburg), die 2008 in Jena mit ihrer grundlegenden Doktorarbeit über Trüper promoviert wurde, konnte die derzeit beste Kennerin als Referentin gewonnen werden. Ihr Vortrag „Die Sophienhöhe. Das Lebenswerk des Heil- und Sozialpädagogen Johannes Trüper (1855-1921)“ stieß weit über das Kernbergviertel hinaus auf größtes Interesse. Der Speiseraum der Talschule war mit knapp 100 Zuhörern bis auf den letzten Platz gefüllt, einige Interessenten konnten wegen Überfüllung leider nicht mehr teilnehmen.

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Frau Dr. Schotte schilderte in ihrem überaus spannenden Vortrag, den sie mit zahlreichen Bildern sehr anschaulich machte, zunächst den ungewöhnlichen Lebensweg Trüpers. Trüper war als 27-jähriger Volksschullehrer aus der Bremer Gegend 1887 zur Aufnahme eines Pädagogikstudiums bei dem bekannten Reformpädagogen Wilhelm Rein (1847-1929) nach Jena übergesiedelt. Schon 1890 eröffnete er hier eine von ihm mit pädagogischer Leidenschaft und großem unternehmerischen Geschick geführte privatwirtschaftliche „Anstalt für schwer erziehbare Kinder“, die sich zunächst im Westviertel befand, 1892 aber in ein ehemaliges Lungensanatorium auf der Sophienhöhe im Kernbergviertel umzog. Detailliert erläuterte Frau Dr. Schotte die Grundlagen, Inhalte und Ziele der von Rein und dem Jenaer Psychiater Otto Binswanger (1852-1929) geprägten modernen Heilpädogik Trüpers, sie beschrieb lebendig den Schul- und Lebensalltag sowie die Organisation und Finanzierung der – baulich und in ihren Schülerzahlen – rasch wachsenden Anstalt und zeigte deren rasanten Aufstieg bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Gründung Trüpers zu einer der international bekanntesten heilpädagogischen Anstalten entwickelt und trug entscheidend dazu bei, daß Jena damals „zu einem Zentrum der Heilpädagogik“ wurde. Eindringlich machte die Referentin abschließend bewußt, welchen tiefen Einschnitt die Kriegsjahre und die Kriegsniederlage für die groß angelegte Anstalt auf der Sophienhöhe als das Lebenwerk Trüpers bedeuteten. Die weltanschaulichen, psychischen und wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe von 1914/18 machten Trüper in seinen drei letzten Lebensjahren zu einem „gebrochenen Mann“. Ein kurzer Ausblick auf die wechselvollen Schicksale der Trüperschen Anstalten in der Zeit der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der DDR beendete die ungemein fesselnden Ausführungen, die für fast alle Zuhörer Neues und Unbekanntes und für die älteren Bewohner des Kernbergviertels auch manches Vertraute brachten.

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Eine lebhafte Diskussion schloß sich an, die vor allem der Entwicklung der Anstalt und ihrer Heilpädagogik nach dem Tode Trüpers 1921 sowie ihrer Geschichte in der DDR galt, die aber auch nach den näheren Umständen fragte, die seit den 1990er Jahren zum völligen Verschwinden auch der denkmalgeschützten Teile der Trüperschen Anlagen durch die Neubauten auf der Sophienhöhe führten. Nur ein Teil der vielen Fragen konnte beantwortet werden, da der begrenzte Zeitrahmen zu einer pünktlichen Beendigung der Vortragsveranstaltung zwang. Angesichts des überwältigenden Interesses, der zahlreichen noch offenen Fragen und des großen Diskussionsbedarfs überlegt die Bürgerinitiative ProKernberge jedoch, nach der Sommerpause im Rahmen unserer Vortragsreihe noch einmal zu einem offenen Gesprächsabend einzuladen, in dem es vor allem um die Geschichte der Trüperschen Anstalten nach 1921 gehen soll, zu deren letzter Phase nach 1945 gewiss nicht wenige Zeitzeugen noch manches berichten können.

Für den Spätherbst ist in unserer Vortragsreihe ein weiterer Vortrag geplant, der den Anfängen der Bebauung des Kernbergviertels und damit dessen eigentlicher Entstehung nach der Mitte des 19. Jahrhunderts gewidmet sein wird. Die Termine dieses Vortrags und des Gesprächsabends zu den Trüperschen Anstalten werden jeweils rechtzeitig bekannt gegeben.